55 Jahre »Mauerbau« – 57 Jahre Hubertus Knabe: Eine Festschrift

von M. Wedel

 

Außerdem: Prominente über Knabe von Kohl, Brecht, Marx, Mann, Goethe, Gott u.a.

 

Der Knabe

Ein Antikommunist aus dem Gruselbuch

von Mathias Wedel (aus: KONKRET 07/2006)

 

[...] Und jetzt tritt Hubertus Knabe auf den Plan. Der Mann verkörpert Neuwert in der Moral- und Rechtsgeschichte – er ist Opfer, Kläger, Staatsanwalt, Richter, Henker (oder sagen wir Vollzugsbeamter, schließlich empfängt er Gehalt als Chef des Hohenschönhauser Stasiknasts), alles in einer Person. Mehr noch: Er ist auch Chronist (»Historiker«), Leserbriefschreiber und Leserbriefbeantworter und Psychotherapeut (»Stimme der Opfer«, die weiterknödelt, wenn jenen das Organ unter der Last der Erinnerungen bricht). Vor allem aber ist er ein Antikommunist wie aus dem Gruselmärchenbuch, in dem sich Gnome, Kobolde und das Einhorn tummeln. Die Figur ist so sehr Klischee, dass man sie sogar jedem Comiczeichner um die Ohren hauen müsste: knochiger Asket in zu kurzer reiß- und feuerfester Arbeitskleidung, starrer, durchdringender Blick, vergiftetes Lächeln, angeklatschte Prinz-Eisenherz-Frisur, unter Aufbietung aller mentalen Potenzen gebremster Speichelfluss und gedrosseltes Redetempo, weich und gewählt das Idiom, in dem er beispielsweise über einen Eiskunstläufer des Sozialismus die gleiche Strafe verhängt, die Herrmann Göring zu Recht ereilte. Denn Ingo Steuer und Herrmann Göring – wo ist da der Unterschied?

 

Gibt es ein poststalinistisches Phänomen der letzten fünfzehn Jahre, zu dem Hubertus Knabe nicht die Stimme der Opfer erhoben hätte? In dem Film »Sonnenallee« zerbricht eine Schallplatte am Antifaschistischen Schutzwall. Aber sind nicht in Wahrheit Menschen zerbrochen? In den Ostalgieshows knöpft sich Kati Witt ihre FDJ-Bluse auf. Stellvertretend für alle, die gelitten haben, leidet Hubertus Knabe, droht mit Sittendezernat und Opferaufstand. Die Ossis finden die DDR immer weniger schlecht. Knabe findet die Ossis immer schlechter. Eine Firma erfindet »Erich’s Duschbad« – Knabe probiert es aus und kündigt an, dass allen Opfern, verschwände das Zeug nicht vom Markt, demonstrativ die Haut bluten werde. Eine Frau aus der Linkspartei wird zu einem Maskottchen des Parlamentarismus gekürt; gleich findet Knabe heraus, die Stasi habe sie »bejubelt«. MfS-Offiziere krakeelen in Lichtenberg – Knabe sorgt dafür, dass sie ins Fernsehen kommen, um dann bestätigt zu finden, was ihm das Wichtigste ist, »dass die Stasi 16 Jahre nach ihrer Auflösung alles andere als tot ist«. Er braucht sie. Sie ist sein Arbeitgeber.

 

Dieser männliche Zorn und diese edle Widerständischkeit – was muss der Mann gelitten haben, was haben ihm Mielkes Schergen übel mitgespielt! Hat er die »Wasserfolter«, die er für sein Schreckensmuseum erfand, an eigner Knabenhaut erlitten? Hat er in einer der »Folterzellen« eingesessen, deren Anzahl er gern annähernd verdoppelt, weil er Zellen, Büroräume, Teeküchen und Besenkammern (mit ihren Folterinstrumenten) zusammenzählt? Wurde er von den Schließern zum Röntgen geschleppt, damit ihn der Blutkrebs zerfräße – eine Methode, die er auf subtile Weise in seinem Museum der Stasi unterstellt? Hat ihn der schikanöse Schlafentzug, der im ganzen Sozialismus herrschte, zum Neurotiker gemacht, der nunmehr die Öffentlichkeit mit seinen Zwangshandlungen unterhält?

 

Nein, dieser erste Teil seiner Heldenbiographie ist ihm erspart geblieben – er fing gleich mit dem zweiten an, der Rache für das, was ihm nicht widerfahren ist. Geboren wurde Knabe im beschaulichen Unna. Es folgte die übliche westdeutsche Langweile. Dann wurde er keck und ökologisch und sammelte erste Erfahrungen als Eiferer bei den Grünen. Dann wieder Langweile. Und wäre die DDR nicht zusammengebrochen, er säße heute noch als Bleistifthalter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes irgendwo in Osteuropa herum. Doch rechtzeitig mit der Implosion des Kommunismus und der Knabeschen Bewerbung bei der Gauck-Behörde entdeckte er auch seine kleine Opfergeschichte: Er soll in eine Theologin aus der Zone verliebt gewesen sein (wahrscheinlich nur platonisch). Aber das war noch nicht Folter genug – die Stasi soll ihn wegen dieser Grenzverletzung auch bespitzelt haben.

 

Für die Gauck-Behörde war Knabe einfach zu brillant. Zu systematischer Arbeit – dem Zusammenkleben von Aktenschnipseln – einfach nicht geschaffen, versuchte er ständig, seinen Dienstherrn in Hassausbrüchen zu übertreffen. Sein Talent als historischer Agitator trat immer schöner zutage, so dass man ihn in den Knast weglobte, auf dass er dort seine Geisterbahn installieren konnte, auf der »echte Opfer« in einer ABM-Lebensstellung den Strecken- und Schreckensdienst übernahmen. Er war überglücklich, in Höhenschönhausen eine gut erhaltene Immobilie vorzufinden, die er als »das Dachau des Kommunismus« dekorieren konnte, mit allem, was Videotechnik und Licht- und Geräuschdesign so hergeben. Diesen Karrieresprung hat der Knabe wohl nie ganz verkraftet. Er überlegte, warum ihn inzwischen so viele westdeutsche Aufarbeitungshistoriker und Journalisten einfach eklig finden. Dann kam er drauf und schrieb sein Lebenswerk »Der diskrete Charme der DDR«, in dem er klarstellte, dass in summa alle bei der Stasi waren. Außer ihm natürlich – und Jürgen Fuchs, denn wenigstens einer musste ja geröntgt worden sein.

 

So hätte das Leben eines Kämpfers für das unveräußerliche Menschenrecht auf Rache und Lynchjustiz eigentlich weitergehen können, wenn der Siegermacht Bundesrepublik nicht das Geld knapp und die Resultate der demokratischen Volksbildung nicht immer schlechter werden würden. Inzwischen erzählen sich die Ossis eine andere DDR weiter als die, die sie im Vergnügungspark Hohenschönhausen geboten kriegen. Ihre ist lustiger; Knabe verflucht beinahe täglich das DDR-Komödienstadl der Filmindustrie. Der gesamte »Aufarbeitungsprozess« erscheint den Ostdeutschen nur noch als schlecht gestrickte ideologische Erklärung für das, was ihnen nach der Wende widerfahren ist: Gestern Täter, heute Hartz IV. Die Birthler-Behörde, größter öffentlicher Arbeitgeber im Osten, muss natürlich erhalten bleiben. Aber was wird aus Hubertus Knabe? Und wie weiter mit dem Hitlergruß? Oder, um das alles in einem typischen, streng historisierenden Knabesatz zusammenzubinden: »Warum darf man ungestraft mit den Symbolen der SED-Diktatur auf der Straße spazieren, während der Hitlergruß eine Straftat ist?« Es bleibt noch viel zu tun.

 

Wichtige Personen des Zeitgeschehens über Hubertus Knabe:

 

Helmut Kohl über Kohl und Hubertus Knabe:

        »Wir werden den Sozialismus bekämpfen,

        zu Lande, zu Wasser und in der Luft.«

        Helmut Kohl, in: Welt am Sonntag, 02.07.1976

 

Bertolt Brecht über Hubertus Knabe und die Dummheit:

        »Die Dummköpfe nennen ihn dumm,

        und die Schmutzigen nennen ihn schmutzig.«

        Bertolt Brecht, in: »Lob des Kommunismus«, 1936

 

Thomas Mann über Hubertus Knabe und die Grundtorheit:

        »Antikommunismus: die Grundtorheit

        unserer Epoche«

        Thomas Mann, in: »Schicksal und Aufgabe«, 1944

 

Karl Marx über Hubertus Knabe und den Kommunismus:

        »Ein Gespenst geht um ...«

         Karl Marx, in: »Manifest der Kommunistischen Partei«, 1848

 

Peter Hacks über Hubertus Knabe und die Redefreiheit:

        »Gerade, wer nichts zu sagen hat, ist scharf

        Darauf, dass er auch alles sagen darf.«

        Peter Hacks, in: »Ehrgeiz der Nichtsssagenden«, 1999

 

Johann Wolfgang von Goethe über Hubertus Knabe und die Angriffe linksradikaler Fauna:

        »Knabe sprach: ›Ich breche dich, Röslein auf

        der Heiden.‹ Röslein sprach: ›Ich steche dich,

        Dass du ewig denkst an mich‹«

        Johann Wolfgang von Goethe, in: »Heidenröslein«, 1771

 

Gott über Hubertus Knabe und die »blühenden Landschaften«:

        »... ein Land der Dürre und Steppe,

        wo niemand wohnt / und wo kein

        Mensch mehr hindurchzieht.«

        Gott, in: »Die Strafe für die Schuld: 51, 27-40«,

        Buch Jeremia, 585 v. Chr.

 

Gunnar Schupelius über Hubertus Knabe und die Lügen:

        »Warum lassen es sich Senat und Bundes-

        regierung gefallen, dass über den Leiter

        einer so wichtigen Gedenkstätte Lügen

        verbreitet werden?«

        Gunnar Schupelius, in: »Mein Ärger«, BZ, 01.04.2014

 

Walter Ulbricht über Hubertus Knabe und den Dreck aus dem Westen:

        »Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck,

        der vom Westen kommt, nu kopieren müssen?«

        Walter Ulbricht, auf dem XI. Plenum des ZK der SED, 1965

 

 

 

Zusammenstellung von: Unentdecktes Land e.V.